Ein Artikel von Bianca Lorenz und Jelena Mrgic
Jeremy Meeks und Luigi Mangione, zwei Verbrecher, die eines gemeinsam haben: ihre schöne Erscheinung. Ihre Attraktivität hat ihnen – und das trotz ihrer Taten – nicht nur immense Aufmerksamkeit, sondern auch eine Fanbase eingebracht. Dieser Effekt, bekannt als „Pretty Privilege“, zeigt wie Schönheit selbst in den dunkelsten Ecken der Gesellschaft das Urteil trüben kann. Welche Rolle spielt also Schönheit in unserer Wahrnehmung? Überstrahlt sie vielleicht sogar unsere moralischen Bewertungen?

Von Mugshot zu Model – Die Faszination schöner Verbrecher
Jeremy Meeks und Luigi Mangione sind lebende Beweise dafür, wie Schönheit selbst bei Verbrechen zu Bewunderung und Profit führen kann. Jeremy Meeks, verurteilt wegen Waffendelikten und schweren Diebstahls, wurde über Nacht berühmt – nicht wegen seiner Taten, sondern wegen eines einzigen Fotos. Sein Polizeifoto, auch Mugshot genannt, ging viral und machte ihn zum gefragten Model, das später für bekannte Marken über den Laufsteg lief. Auch Luigi Mangione, der beschuldigt wird, den CEO einer der größten privaten Krankenversicherungen der USA ermordet zu haben, gewann nach der Veröffentlichung seiner Bilder eine treue Fanbase. Trotz der Schwere der Tat wird er nicht nur für sein attraktives Äußeres bewundert, sondern von manchen sogar als moderner Robin Hood gefeiert. Beide Fälle verdeutlichen, wie äußere Attraktivität das Bild einer Person verzerren und Sympathien wecken kann – selbst in einem moralisch fragwürdigen Kontext. Dieses Phänomen wird als Pretty Privilege bezeichnet und zeigt, wie sehr Schönheit unsere Wahrnehmung beeinflussen kann.
Pretty Privilege – Was steckt dahinter?
Stell dir vor, du stehst in einem überfüllten Café, doch plötzlich wirst du vorgelassen und deine Bestellung wird sofort entgegengenommen. Warum? Weil du ins Auge fällst. Mit deinem Lächeln. Mit deinem Stil. Schönheit eröffnet kleine Privilegien: schnellere Bedienung, freundlichere Worte. Das ist Pretty Privilege in Aktion. Ein ungeschriebenes Gesetz, das besagt, dass attraktive Menschen oft bevorzugt werden. Aber warum ist das so? Wir scheinen oft schönen Menschen automatisch weitere positive Eigenschaften zuzuschreiben, auch wenn wir sie gar nicht kennen. Jemand, der schön ist, muss doch auch intelligent, hilfsbereit oder humorvoll sein, oder? Dieses Phänomen wird als Halo-Effekt bezeichnet: Eine herausragende Eigenschaft, wie Schönheit, „überstrahlt“ andere Merkmale und beeinflusst unsere Wahrnehmung stärker, als uns bewusst ist (Maestripieri et al., 2016)
Schönheit vor Gericht – Milde für die Attraktiven?
Dass Schönheit Vorteile bringt, macht auch vor der Justiz nicht Halt. Schließlich weckt ein attraktives Erscheinungsbild selbst bei schwerwiegenden Verbrechen oft Sympathie oder Mitgefühl. Studien zeigen, dass attraktive Angeklagte tendenziell mildere Urteile erhalten oder sogar freigesprochen werden können (Patry, 2008). Ein beunruhigender Gedanke, der unsere Wahrnehmung von Gerechtigkeit in Frage stellt.
Schönheit zahlt sich aus – von der Wiege bis in den Beruf
Doch auch fernab der Kriminalität werden attraktive Menschen bewundert und bevorzugt. Studien gehen davon aus, dass Schönheit ein Zeichen für gute Gene ist und wir uns deswegen davon angezogen fühlen. Dieses Phänomen tritt übrigens schon bei Babys und Kindern auf. Mitunter ein Grund, weshalb schönere Kinder mehr Aufmerksamkeit von ihren Eltern bekommen (Maestripieri et al., 2016). Auch gibt es Hinweise darauf, dass attraktivere Kinder womöglich besser benotet und als intelligenter eingeschätzt werden (Kenealy et al., 2001). Und als wäre das nicht schon genug, verdienen schönere Menschen auch noch mehr Geld. Denn Schönheit wird später nicht nur mit Leistungsfähigkeit gleichgesetzt, sondern öffnet auch Türen für attraktivere Jobs (Hamermesh, 2011; Nault et al., 2020).
Schönheit mit Nebenwirkungen – also doch pretty (un)fair?
Schön sein und dadurch automatisch im Vorteil – ein Traum oder doch eine Realität, die soziale Ungleichheit aufzeigt? Tatsächlich haben attraktive Menschen in vielen Bereichen bessere Chancen: Sie werden positiver bewertet, bekommen eher einen Job und verdienen mehr als ihre weniger attraktiven Mitarbeiter*innen (Hamermesh, 2011). Klingt unfair? Ist es auch. Denn letztlich bedeutet das, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens benachteiligt oder bevorzugt werden – eine Form von Diskriminierung. Doch es gibt auch eine Kehrseite: Das zeigt sich besonders bei Frauen, wenn bestimmte geschlechterspezifische Stereotype ins Spiel kommen. Attraktive Frauen werden häufig mit typischen „femininen“ Eigenschaften assoziiert. In Berufen, die als „männlich“ gelten, kann das zum Nachteil werden: Ihre Leistung wird oft kritischer bewertet, während weniger attraktive Frauen in solchen Bereichen sogar im Vorteil sein können (Rosar & Klein, 2009). Schönheit öffnet also Türen, aber nicht immer die richtigen. Ist Pretty Privilege also wirklich ein Privileg?
Pretty Privilege hinterfragen: Weil nicht alles Gold ist, was glänzt
Aber: Es gibt Möglichkeiten, das „Pretty Privilege“ zumindest etwas abzuschwächen. Wir können uns immer wieder selbst bewusst machen, dass diese Bevorzugung existiert und aktiv dagegen ankämpfen (Burns et al., 2017). Ist der Angeklagte wirklich so unschuldig, wie er sagt? Oder sieht er einfach nur gut aus, sodass man es ihm nicht zutrauen würde? Hat die Bewerberin wirklich bessere Fähigkeiten oder trügt der Schein? Es liegt in unserer Natur, schnell einen ersten Eindruck zu gewinnen und vorschnelle Entscheidungen zu treffen. Es hilft aber durchaus, auch mal die eigenen Annahmen zu hinterfragen und zu erkennen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.
Literatur
- Burns, M. D., Monteith, M. J., & Parker, L. R. (2017). Training away bias: The differential effects of counterstereotype training and self-regulation on stereotype activation and application. Journal of Experimental Social Psychology, 73, 97-110. https://doi.org/10.1016/j.jesp.2017.06.003
- Hamermesh, D. S. (2011). Beauty pays: Why attractive people are more successful. Princeton University Press. https://doi.org/10.1515/9781400839445
- Kenealy, P., Frude, N. & Shaw, W. (2001). Influence of children’s physical attractiveness on teacher expectations. Journal of Social Psychology (128(3), 373–383. DOI: 10.1080/00224545.1988.9713754
- Maestripieri, D., Henry, A. & Nickels, N. (2016). Explaining financial and prosocial biases in favor of attractive people: Interdisciplinary perspectives from economics, social psychology, and evolutionary psychology. Behavioral And Brain Sciences, 40, e19. https://doi.org/10.1017/s0140525x16000340
- Nault, K. A., Pitesa, M. & Thau, S. (2020). The Attractiveness Advantage At Work: A Cross-Disciplinary Integrative Review. Academy of Management Annals, 14(2), 1103–1139. https://doi.org/10.5465/annals.2018.0134
- Patry, M. W. (2008). Attractive but guilty: deliberation and the physical attractiveness bias. Psychological Reports, 102(3), 727–733. https://doi.org/10.2466/PR0.102.3.727-733
- Rhodes, G., Simmons, L. W. & Peters, M. (2005). Attractiveness and sexual behavior: Does attractiveness enhance mating success? Evolution and Human Behavior, 26(2), 186–201. https://doi.org/10.1016/j.evolhumbehav.2004.08.014
- Rosar, U. & Klein, M. (2009). Mein(schöner)Prof.de. KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 61(4), 621–645. https://doi.org/10.1007/s11577-009-0086-1