Stellen Sie sich bitte einen Menschen vor, auf den die Beschreibung „mächtig und kompetent“ passt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sie dabei an einem Mann um die 50 denken. Eigentlich absurd, wo doch die mächtigste Person in Deutschland seit 15 Jahren eine Frau ist. Aber leider reicht eine Bundeskanzlerin alleine nicht, um gegen ein Stereotyp anzukommen und dass Millionen von Menschen dies verinnerlicht haben.
Mädchen sind (nicht) schlechter in Mathe – außer man erinnert sie daran
Die psychologische Forschung beschäftigt sich schon relativ lange mit der Frage, wie Stereotype das Verhalten derer beeinflussen, die zu einer stereotypisierten Gruppe gehören. Psychologen nennen das Stereotyp Threat. In einem sehr bekannten Experiment lies Claude Steele, Professor für Sozialpsychologie, 1997 an der Stanford University weibliche und männliche Studierende an einem Test für mathematische Fähigkeiten teilnehmen. Der Hälfte der Probanden wurde vor Beginn des Tests gesagt, dass es bei diesem Test in der Regel starke Geschlechtsunterschiede gäbe. Spannenderweise schnitten die Frauen, denen das zuvor gesagt wurde, im anschließenden Test tatsächlich schlechter ab als die männlichen Teilnehmer. Bei den anderen 50 Prozent der Versuchsteilnehmer, die zuvor nichts dergleichen gehört hatten, gab es keinen signifikanten Geschlechtsunterschied im Mathetest.
Stereotype können auch subtil aktiviert werden
Dramatischerweise reicht es, unmittelbar vor Beginn eines Mathematiktest Studierende zu bitten, ihr jeweiliges Geschlecht anzukreuzen, um die Leistung weiblicher Teilnehmer einbrechen zu lassen. Wurde das Geschlecht erst nach Abschluss des Mathe-Tests abgefragt, konnten keine Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern festgestellt werden (Strickler & Ward, 2004).
Das bedeutet, es reicht vor einem Test oder bei den Bundesjugendspielen vorm Werfen „Ladies first“ oder „Los Mädls, Ihr schafft das!“ zu sagen, und schon kann dies negative Stereotype aktivieren und in Leistungssituationen schaden, selbst wenn es eigentlich nur nett gemeinte Kommentare waren.
Die Angst ein Stereotyp zu bestätigen, frisst kognitive Ressourcen
Was ist der Mechanismus hinter derartigen Effekten? Eine beliebte Erklärung ist, dass die Erinnerung an ein negatives Stereotyp eine Art kognitive Belastung ist (Schmader & Johns, 2003). Das heißt, wenn man einen Afroamerikaner daran erinnert, dass seine ethnische Gruppe in IQ-Tests in der Regel schlechter abschneidet als weiße Testteilnehmer, wird diese Information bewusst oder unbewusst bearbeitet. Das Arbeitsgedächtnis ist damit beschäftigt diese Information wegzuschieben, abzumildern oder zu verarbeiten und das kostet Ressourcen, die dann nicht mehr für die eigentliche Aufgabe zur Verfügung stehen. Für diese Erklärung spricht unter anderem der Befund, dass Stereotype über die eigene Gruppe nur bei schwierigen Aufgaben zu einer Leistungseinbuße führen. Aufgaben bei denen man optimalerweise die gesamte kognitive Kapazität zu Verfügung hat.
Stereotype bilden sich bereits in jungen Jahren
Was kann man nun tun, um diesem Effekt entgegenzuwirken? Stereotype bilden sich vor allem in jungen Jahren. Kinder haben – genau wie Erwachsene – den Wunsch, Teil einer sozialen Gruppe zu sein und orientieren sich daher unbewusst an Gruppen-Erwartungen. Deswegen finden Mädchen im Kindergarten plötzlich rosa ganz toll, weil das die anderen Mädchen auch mögen, die Erzieherin implizit annimmt, das sei die Mädchen-Lieblingsfarbe und es durch Medien wie Kinderbücher mit rosa-gekleideten Prinzessinnen und Einhörnern noch verstärkt wird. Eltern können hier bewusst gegensteuern. Sie können ihre Kinder z.B. darauf aufmerksam machen, wenn sie eine Polizistin, eine Busfahrerin oder eine Ärztin sehen.
Man kann auch selbst erfolgreich gegen die Beeinträchtigung durch negative Stereotype der eigenen Gruppe gegenüber ankämpfen. Forscher konnten zeigen, dass eine 15 minütige Übung, in der man sich auf seine eigenen Stärken besinnt, wie eine Impfung gegen die Bedrohung durch Stereotype wirkt (Cohen, Purdie-Vaughns & Garcia, 2012). Zudem hilft es, sich positive Gegenbeispiele vor Augen zu führen. Wenn es beispielsweise heißt, Afroamerikaner sind intellektuell weniger leistungsfähig, hilft es an Barack Obama zu denken. Schließlich wurde er nicht nur Präsident der Vereinigten Staaten, sondern ist auch Absolvent der juristischen Fakultät einer Eliteuniversität.
PS: Ein Erlebnis das Hoffnung macht
Diesen Artikel habe ich im Zug auf dem Weg von Italien nach Deutschland verfasst und dabei wurde ich von einer Polizistin nach meinen Ausweis-Dokumenten gefragt. Das hat mich tatsächlich doppelt gefreut. Zum einen, weil es eine weibliche Polizistin war, und zum zweiten weil ich äußerst selten kontrolliert werde. Tatsächlich kommt das eigentlich nie vor, da ich optisch offenbar nicht zu einer stereotypisierten Gruppe gehöre und daher nicht unter dem Generalverdacht stehe, etwas Illegales zu tun. Wir schreiben das Jahr 2020 und es gibt also Grund zur Hoffnung.
Literatur
Steele, C. M. (1997). A threat in the air: How stereotypes shape intellectual identity and performance. American psychologist, 52(6), 613.
Cohen, G. L., Purdie-Vaughns, V., & Garcia, J. (2012). An identity threat perspective on intervention. In M. Inzlicht & T. Schmader (Eds.), Stereotype threat: Theory, process, and application (p. 280–296). Oxford University Press.
Stricker, L. J., & Ward, W. C. (2004). Stereotype Threat, Inquiring About Test Takers‘ Ethnicity and Gender, and Standardized Test Performance 1. Journal of Applied Social Psychology, 34(4), 665-693.
Schmader, T., & Johns, M. (2003). Converging evidence that stereotype threat reduces working memory capacity. Journal of personality and social psychology, 85(3), 440.