Heute war ich Kaffeetrinken. Als die nette Kellnerin später zum Kassieren kam, habe ich – ohne lang nachzudenken – aufgerundet. Das macht man ja schließlich so, die deutsche Bezahlkultur schlägt zehn Prozent vor. So einfach ist das. Wenn man ein bisschen länger darüber nachdenkt, ist es allerdings nicht ganz so einfach. Warum gibt man im Café Trinkgeld, aber nicht bei der Physiotherapie oder beim Steuerberater?
Warum kriegen manche Berufsgruppen kein Trinkgeld?
Michal Lynn, der sein Psychologie-Studium als Kellner und Barkeeper finanziert hat und heute an der Cornell University in New York lehrt, beschäftigt sich mittlerweile wissenschaftlich mit Trinkgeld. In einer aktuellen Studie, die im Journal of Economic Psychology erschien, befragte er online 1’183 Probanden, um eine Antwort auf die Frage zu bekommen, warum manche Berufsgruppen Trinkgeld kriegen und andere wieder nicht.
Lynn präsentierte seinen Studienteilnehmern 112 Berufsgruppen und lies sie für jede Berufsgruppe 13 Fragen beantworten: Wie schwierig ist die Ausübung des Berufs? Ist es wahrscheinlich, dass man noch einmal die Dienste der entsprechenden Person in Anspruch nimmt? Wird die Tätigkeit fair bezahlt? Im Anschluss wurden die Umfrageteilnehmer gefragt, ob sie Trinkgeld geben würden.
Trinkgeld soll Ungleichheiten ausgleichen
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kunden vor allem finanzielle und emotionale Ungerechtigkeit ausgleichen wollen. Daher kriegen die junge Dame oder der junge Mann im Kaffee einen Euro extra, weil „man ja in der Gastronomie eh nichts verdient“. Ähnliches gilt für den Lehrling beim Frisör, der nur Haare waschen darf. Friseur-Lehrlinge werden immer noch unterdurchschnittlich schlecht bezahlt, daher gibt es für den Lehrling am Schluss noch zwei Euro „die sind für Sie“. Auch wenn der Dienstleister ein wenig traurig wirkt, hat das einen positiven Einfluss auf das Trinkgeld. Der Kunde möchte den armen Taxifahrer, der ihn zum Flughafen bringt, aber nicht in den Flieger nach Kreta steigen darf, ein wenig aufmuntern und sein soziales Gewissen beruhigen.
Außerdem geben Menschen gerne Trinkgeld, wenn sie einen auf sie zugeschnittenen speziellen Service genossen haben. „Mandelmilch in den Kaffee, kein Problem, für Sie doch immer!“
Interessanterweise hat es keinen Einfluss auf die Höhe des Trinkgelds, ob man erwartet, auch zukünftig von der gleichen Person eine Diensteistung in Anspruch zu nehmen. Genausowenig war die Höhe des Trinkgelds abhängig von der Dauer und Intensität des Kontakts von Angesicht zu Angesicht.
Tricks für mehr Trinkgeld
Wissenschaftler haben sich nicht nur damit beschäftigt warum man Trinkgeld gibt, sondern auch mit Tricks um mehr Trinkgeld zu bekommen. Zwei Tricks scheinen gut zu funktionieren: Erstens, die Reziprozitätsregel. Wenn man etwas geschenkt bekommt, will man auch etwas zurück geben. Denken Sie an diese Regel, wenn sie mal wieder ein Bonbon zu ihrer Rechnung bekommen. Ausserdem hilft – wie so oft im Leben – ein Lächeln, zumindest für Frauen. Weibliche Bedienungen bekamen in einer Studie 5% mehr Trinkgeld, wenn sie einen Smiley auf die Rechnung malten. Männer sollten das Zeichnen lieber lassen. Bei ihnen hatten die fröhlichen Gesichter einen gegenteiligen Effekt.
Literatur
Lynn, M. (2016). Why are we more likely to tip some service occupations than others? Theory, evidence, and implications. Journal of Economic Psychology, 54, 134-150.
Rind, B., & Bordia, P. (1996). Effect on restaurant tipping of male and female servers drawing a happy, smiling face on the backs of customers‘ checks. Journal of Applied Social Psychology, 26, 218-225.
Strohmetz, D. B., Rind, B., Fisher, R., & Lynn, M. (2002). Sweetening the till: The use of candy to increase restaurant tipping1. Journal of Applied Social Psychology, 32, 300-309.