Wenn man vor die Wahl gestellt wird, ob man lieber ein schnelles Tassenküchlein aus der Mikrowelle oder Omas selbstgemachten Apfelkuchen möchte, ist die Entscheidung leicht. Schließlich schmeckt Selbstgemachtes doch besser – und wir schätzen es auch viel mehr, oder?
Dabei sind Backmischungen eigentlich eine praktische Sache. Als in den 1950er Jahren Kuchenmischungen auf den amerikanischen Markt kamen, sahen das viele Hausfrauen allerdings ganz anders. Sie hatten das Gefühl, durch die „Alles-aus-einer-Packung“-Lösung überflüssig gemacht zu werden. Die cleveren Hersteller reagierten: Fortan musste man nicht nur Wasser hinzufügen, sondern auch Eier, Butter und Milch. Zusätzlich wurde betont, dass der Kuchen erst durch eine aufwendige Verzierung „wirklich perfekt“ sei.
Das Ergebnis? Die Backmischungen verkauften sich plötzlich viel besser. Denn ein Stück Eigenleistung machte den Kuchen wertvoller – ganz egal, ob er dadurch objektiv besser schmeckte.
Und genau dieses psychologische Muster zeigt sich heute noch – ob beim Kochen, Basteln oder Möbel aufbauen. Psycholog:innen nennen es den Ikea-Effekt.
Der (doppelte) Ikea-Effekt
Neulich habe ich ein perfektes Beispiel dafür erlebt: Ein Kollege erzählte mir, dass er seinen alten PAX-Türen gerade einen neuen Look verpasst: Heisst zuerst grundieren und danach mindestens eine Schicht Farbe auftragen. Die Farbe ist toll, aber in Summe wären wohl neue Türen finanziell auf das Gleiche hinausgelaufen und hätten Zeit und Mühe gespart. Klar, das Upcycling ist nachhaltiger aber eben auch zeit- und kostenintensiv.
Das ist der Ikea-Effekt in Reinform – und hier sogar gleich doppelt:
- Der Schrank inkl. Türen wurden selbst aufgebaut.
- Das Upcyling der Türen mit der hübschen aber teuren Farbe.
Das Ergebnis: Die Türen werden zum echten Herzensobjekt auf die man auch ein wenig stolz sein kann – selbst wenn er für dasselbe Geld längst neue kaufen könnte.
Warum tritt der Ikea-Effekt auf?
- Selbstwirksamkeit und Stolz
Wir erleben uns als kompetent, wenn wir etwas schaffen. Das steigert unser Selbstwertgefühl (Franke, Schreier, & Kaiser, 2010). - Kognitive Dissonanzreduktion
Hoher Aufwand muss sich „lohnen“. Deshalb werten wir das Ergebnis automatisch auf (Festinger, 1957). - Emotionale Bindung
Eigenleistung macht Produkte zu „unseren“ Produkten und erzählen eine Geschichte (Dohle, Rall, & Siegrist, 2014).

Der psychologische Zwilling: Sunk Cost Fallacy
Spannend ist, dass in solchen Situationen oft noch ein zweiter psychologischer Mechanismus wirkt – die sogenannte sunk cost fallacy (Arkes & Blumer, 1985). Sie beschreibt den Fehlschluss, vergangene Investitionen (Zeit, Geld, Mühe) als Rechtfertigung für zukünftiges Handeln zu nutzen – auch wenn es objektiv sinnvoller wäre, einen Schnitt zu machen.
Im PAX-Beispiel bedeutet das: Selbst wenn neue Türen günstiger und einfacher wären, ist der Gedanke kaum auszuhalten: „Jetzt habe ich schon so viel Geld und Arbeit reingesteckt – da mache ich auf keinen Fall einen Rückzieher.“
Der Unterschied zwischen den beiden Effekten im beschriebenen Beispiel ist klein:
- Der Ikea-Effekt erklärt, warum wir etwas höher wertschätzen, wenn wir daran gearbeitet haben.
- Die sunk cost fallacy erklärt, warum wir an einer Entscheidung festhalten, weil wir schon investiert haben.
Im Alltag greifen beide Phänomene oft ineinander – und machen uns blind gegenüber Alternativen.
Der Ikea-Effekt motiviert, man kann seine Kreativität ausleben und Selbstgebautes kann auch dem Selbstwertgefühlt gut tun. Gleichzeitig kann er, in Kombination mit der sunk cost fallacy, dazu führen, dass wir viel zu lange an Projekten festhalten, in die wir schon „zu viel“ investiert haben – ob Möbel, Hobbys oder berufliche Initiativen.
Fazit
Ob Omas Apfelkuchen oder PAX-Türen: Der Wert, den wir Dingen beimessen, entsteht nicht durch den tatsächlichen Preis, sondern durch das Stück von uns selbst, das darin steckt. Der Ikea-Effekt hilft zu verstehen, warum wir vor allem an dem hängen, was wir mitgestaltet haben – und die sunk cost fallacy erklärt, warum Loslassen manchmal so schwer fällt auch wenn es der klügere Schritt ist.
Literatur
- Arkes, H. R., & Blumer, C. (1985). The psychology of sunk cost. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 35(1), 124–140. https://doi.org/10.1016/0749-5978(85)90049-4
- Dohle, S., Rall, S., & Siegrist, M. (2014). I cooked it myself: Preparing food increases liking and consumption. Food Quality and Preference, 33, 14–16. https://doi.org/10.1016/j.foodqual.2013.11.001
- Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance. Stanford University Press.
- Franke, N., Schreier, M., & Kaiser, U. (2010). The “I designed it myself” effect in mass customization. Management Science, 56(1), 125–140. https://doi.org/10.1287/mnsc.1090.1077
- Norton, M. I., Mochon, D., & Ariely, D. (2012). The IKEA effect: When labor leads to love. Journal of Consumer Psychology, 22(3), 453–460. https://doi.org/10.1016/j.jcps.2011.08.002










