Sophie Zech und Justine Knebel
Von den aktuellen Nachrichten der Tagesschau über den Newsfeed von Instagram zu einem süßen Katzenvideo auf Youtube. Wenn bei einem „kurzen Blick“ auf das Smartphone plötzlich eine ganze Stunde vergangen ist, konnten wir mal wieder unseren Social Media Konsum nicht kontrollieren. Doch warum fällt es selbst dann so schwer, sich vom Bildschirm loszureißen, wenn eigentlich wichtigere Aufgaben zu erledigen sind? Und ist dieses ständige Aufschieben gut oder schlecht für das eigene Wohlbefinden?
„Ich muss unbedingt noch… oh, eine neue Facebook-Nachricht“ – durch ihre besonderen Eigenschaften stellen soziale Medien unsere Selbstdisziplin vor eine große Herausforderung. Vor allem, wenn wir eigentlich Besseres zu tun hätten, lassen wir uns doch oft allzu schnell von unserem Smartphone oder Tablet ablenken. Obwohl das absichtliche Aufschieben, die sogenannte Prokrastination, auch eine Quelle für gute Laune und Erholung sein kann, hängt sie meistens mit ernstzunehmenden Beeinträchtigungen der mentalen und physischen Gesundheit zusammen.
Geist über Körper – das psychologische Werkzeug Selbstkontrolle
Ein Begriff, der häufig mit dem Kontrollverlust bei der Nutzung sozialer Medien in Verbindung gebracht wird, ist die sogenannte Selbstkontrolle. Sie beschreibt die Fähigkeit des Menschen, seine Gedanken, Gefühle oder Handlungen bewusst zu steuern. Dadurch kann einer vorübergehenden Versuchung widerstanden werden. Beim Konsum sozialer Medien ist es also Selbstkontrolle, wenn wir dem Impuls zum Smartphone zu greifen, widerstehen können. Anstatt Whatsapp, Facebook oder Instagram zu checken, erledigen wir wichtigere Aufgaben. Ganz nach dem Motto – „Was Du heute kannst besorgen, dass verschiebe nicht auf morgen!“ – unterdrücken wir bewusst einen Handlungsimpuls und haken pflichtbewusst unsere To-Do-Liste ab (Hofmann, Vohs & Baumeister, 2012; Zimmerman, 2000).
Social Media Self Control Failure – der Begriff zum Phänomen
Um das Versagen der Selbstkontrolle beim Konsum sozialer Medien klar zu benennen, haben die Psycholog*innen Du, van Koningsbruggen und Kerkhoff von der Universität Amsterdam den Begriff Social Media Self-Control Failure, kurz SMSCF, entwickelt. Dieser beschreibt das geschilderte Phänomen: Social Media ist – wie bei Adam und Eva – die verbotene Frucht im Paradies, nach der wir wider besseren Wissens beherzt greifen. Wichtig ist dabei, dass SMSCF noch keine krankhafte Sucht nach sozialen Medien, sondern lediglich das kurzzeitige Versagen der Kontrolle im Alltag bezeichnet.
Doch warum fällt uns Selbstkontrolle gerade bei sozialen Medien so schwer?
Die Ursachen für SMSCF sieht die Wissenschaft in vier Eigenschaften sozialer Medien, die verschiedene menschliche Grundbedürfnissebefriedigen (Du, Kerkhof & van Koningsbruggen, 2019): Bedürfnisbefriedigung, Allgegenwart, Benachrichtigungen und gewohnheitsmäßige Überprüfung. So löst der Konsum sozialer Medien positive Gefühle aus und erfüllt zugleich das menschliche Verlangen nach sozialem Anschluss – und das ganz individuell: Während sich der*die eine über Likes des neuen Instagram-Post freut, können andere über Whatsapp Freundschaften pflegen. Manch eine*r genießt das Feedback aus dem Facebook-Forum oder lässt sich von Youtube-Videos unterhalten. Alle befriedigen damit auf unterschiedliche Weise ihr Grundbedürfnis nach sozialem Kontakt und guter Laune. Hinzu kommt der inzwischen nahezu uneingeschränkte Zugang zu sozialen Medien. Social Media ist allgegenwärtig und durch ständige Benachrichtigungen über E-Mails, Push-Nachrichten oder Updates auch immer präsent. So ist es zwangsläufig zur Gewohnheit geworden, immer online zu sein, zu überprüfen, „was da gerade so läuft“ und sich so von der eigentlichen Aufgabe abgelenkten zu lassen (Hofmann, Reinecke & Meier, 2017).
Selbstkontrollverlust als Krankheitssymptom der „Aufschieberitis“
Die Forschung konnte zeigen, dass SMSCF in Zusammenhang mit der sogenannten Prokrastination steht. Hierbei handelt es sich umgangssprachlich ausgedrückt um das Phänomen der Aufschieberitis: Das bekannte Problem, etwas auf morgen zu verschieben, was heute erledigt werden sollte.
Ein Grund für Prokrastination ist der Zweifel an der eigenen Fähigkeit, die betreffende Aufgabe zu vollenden. Weil wir negative Konsequenzen fürchten, laufen wir stattdessen lieber vor ihr davon (Fernie & Spada, 2008). Zudem dient Prokrastination nach der Mood Management Theorie (Zillmann, 1988) auch der Stimmungsoptimierung. Unsere aufgeschobenen Aufgaben sind häufig langweilig, herausfordernd oder angsterregend. Im Gegensatz dazu sind die Ablenkungen erfreulich, einfach und einladend. Deshalb ist es kein Wunder, dass Mood Management Forschung zeigt: Je schwerer die ursprüngliche Aufgabe, desto größer die Prokrastination (Meier, Reinecke & Meltzer, 2016).
Die zwei Gesichter der Prokrastination
Prokrastination muss nicht immer schlecht sein. Sie bietet die Möglichkeit, kurzzeitig die eigene Stimmung zu heben und somit auch die eigenen Ressourcen zu regenerieren (Fernie & Spada, 2008; Reinecke & Hofmann, 2016).
Doch wie sehr wir uns auch wünschen, dass Prokrastination einen berechtigten Platz in unserem Leben hat, gibt es leider eine gefährliche Kehrseite der Medaille.
Studien belegen die negativen Auswirkungen von Prokrastination auf die mentale und körperliche Gesundheit. Die Forschungsgruppe um Leonard Reinecke zeigte, dass das pathologische Aufschieben vor allem dann schlecht für uns ist, wenn wir es nicht regulieren können. Auf das anfänglich schlechte Gewissen folgen schon bald erhebliche Schuldgefühle. In Verbindung mit zunehmendem Zeitdruck werden auch Stress und Versagensängste immer größer, je länger Aufgaben liegen bleiben. Wenn sich das alles immer weiter aufschaukelt, endet es oft in einem großen Knall und greift unsere Psyche an (Meier et al., 2016; van Koningsbruggen & Kerkhoff, 2018).
Zudem hat Prokrastination mit sozialen Medien auch einen schlechten Einfluss auf unseren Körper. Wer bis spät nachts sein Smartphone nutzt und deshalb vor dem Schlafengehen nicht abschalten kann, leidet am nächsten Tag unter den Konsequenzen. (Reinecke et al., 2018).
Prokrastination mit Social Media ist also Fluch und Segen zugleich. Während die positiven Auswirkungen leider nur von kurzer Dauer sind, fallen die negativen Folgen langfristig schwerer ins Gewicht.
Get (sh)it done – doch wie?
Doch kennen wir die Verbindung zwischen Prokrastination und sozialen Medien, können wir uns das zu Nutze machen. Nach dem Prinzip – „Einschalten zum Abschalten“ – füllt der richtige Medienkonsum unsere Ressourcen auf und versorgt uns mit neuer Energie für anstehende Aufgaben (Reinecke & Hofmann, 2016).
Zum Glück können Smartphone oder Tablet, die Ursachen allen Übels, inzwischen sogar dafür genutzt werden, sich die Kontrolle über den eigenen Social Media Konsum zurückzuholen. Es gibt zahlreiche Apps, die die eigene Bildschirmzeit messen, bestimmte Programme nach individueller Nutzereinstellung blockieren und das eigene Durchhaltevermögen sogar belohnen.
Der Übeltäter Smartphone wird so wieder zum gewohnten Alltagshelfer und wir können doch pünktlich unsere Aufgaben erledigen. Es sei denn, es findet sich doch noch rechtzeitig eine andere geeignete Ablenkung…
Literatur:
Baumeister, R. F., & Heatherton, T. F. (1996). Self-regulation failure: An overview. Psychological Inquiry, 7, 1-15. doi: 10.1207/s15327965pli0701_1.
Chu, A. & Choi, J. (2005). Rethinking procrastination: Positive effects of „active“ procrastination behavior on attitudes and performance. The Journal of Social Psychology, 145, 245-64. doi:10.3200/SOCP.145.3.245-264.
Du, J., Kerkhof, P. & van Koningsbruggen, G.M. (2019). Predictors of Social Media Self-Control Failure: Immediate Gratifications, Habitual Checking, Ubiquity, and Notifications. Cyberpsychology, Behavior and social Networking, 22(7). doi: 10.1089/cyber.2018.0730
Du J., van Koningsbruggen G. M., & Kerkhof P. (2018). A brief measure of social media self-control failure. Computers in Human Behavior, 84, 68–75.
Fernie, B. A., & Spada, M. M. (2008). Metacognitions about procrastination: A preliminary investigation. Behavioural and Cognitive Psychotherapy, 36(03), 359-364. https://doi.org/10.1017/S135246580800413X
Hasemer, P. (2015, Juni 12). Forest: Bäume pflanzen zur Konzentration. Abgerufen am 01. Februar 2021, von https://www.zeit.de/digital/mobil/2015-06/forest-app-kritik-fokussiertes-arbeiten
Hofmann, W., Reinecke, L., & Meier, A. (2017). Of sweet temptations and bitter aftertaste: Self-control as a moderator of the effects of media use on well-being. In L. Reinecke & M. B. Oliver (Eds.), The Routledge handbook of media use and well-being: International perspectives on theory and research on positive media effects (pp. 211-222). New York: Routledge.
Hofmann, W., Vohs, K.D. & Baumeister, R. F. (2012). What People Desire, Feel Conflicted About, and Try to Resist in Everyday Life. Psychological Science 23(6), 582–588.
Meier, A., Reinecke, L. & Meltzer, C. (2016). „Facebocrastination“? Predictors of using Facebook for procrastination and its effects on students‘ well-being. Computers in Human Behavior, 64, 65-76. doi:10.1016/j.chb.2016.06.011
Reinecke L., et al. (2018). The relationship between trait procrastination, internet use, and psychological functioning: Results from a community sample of German adolescents. Frontiers in Psychology, 11. doi: 10.3389/fpsyg.2018.00913.
Reinecke, L. & Hofmann, W. (2016). Slacking Off or Winding Down? An experience sampling study on the drivers and consequences of media use for recovery versus procrastination. Human Communication Research, 42(3), 441-461. doi:10.1111/hcre.12082
Reinecke L., Meier A., Aufenanger S., et al. (2018). Permanently online and permanently procrastinating? The mediating role of Internet use for the effects of trait procrastination on psychological health and well-being. New Media & Society, 20(3), 862-880. doi:10.1177/1461444816675437
Zillmann, D. (1988) Mood management through communication choices. American Behavioral Scientist, 31(3), 327–340.
Zimmerman, B. J. (2000). Attaining Self‐Regulation: A social cognitive perspective. In M. Boekaerts, P. R. Pintrich, & M. Zeidner (Hrsg.), Handbook of Self‐Regulation (S. 13–39). San Diego, CA: Academic Press.
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